Gefälscht, gefälschter, am gefälschtesten
Conakry, Guinea, April 2013
"Eh, mon grand, t'as vu ça? C'est original! Pas de chinois, l'original" - "Je fixe ça? 600'000, avec la commande. Ça accepte CD, mémoire, DVD, il y a tout!" - "Eh Sam, dis na Chinese, i fiba orginal, but na fek fek radio! Nor trust Guinea man dem, dem lek fo cheat Salone man dem! Yu fo buy Belgium". [1]
Mamadu will nur noch ein Autoradio kaufen. Dieses fehlte in seinem Nissan Primera, Baujahr 1997, vor einer Woche im Hafen von Conakry gekauft. Der Motor ist auf Vordermann gebracht. Die Federung ist den lokalen Strassenverhältnissen angepasst – der Wagen wurde ‛höhergestellt' statt ‛tiefergelegt'. Ein Radio sei jedoch unabdingbar, um das Auto in Sierra Leone als Taxi zu betreiben. Auf dem Madina Market, dem grössten Markt Guineas, auf dem sich Leute aus Sierra Leone, Liberia, aber auch Mali mit Konserven, Elektronik, Haushaltswaren, Kleidern, Motorrädern, Kosmetika, Medikamenten, Ersatzteilen eindecken, haben wir eine neue Batterie und ein komplettes Set gebrauchter Reifen gekauft. Fehlt also noch das Autoradio.
Kaum haben wir das Auto geparkt, stürzen sich junge Männer mit Rucksäcken und Händen voll mit Auspuffrohren, Radabdeckungen, Steuerrad- und Sitzbezügen, Spoilern, Autoradios, Antennenimitationen, Ersatzblinkern, Rückspiegeln, Farbkübeln, Teppichen, oder Kleenexboxen auf uns. Einige drängen sich ins Auto, machen sich gleich daran, ein Autoradio zu verkabeln. Lackschäden werden übermalt, Sonnenschutzfolien angebracht. Sprachfetzen in Französisch, Peul/Fullah und Susu sind zu hören. Mamadu wird immer nervöser. Er versteht kein Wort Französisch, behauptet auch kein Fullah zu können. Er wollte hier sein Auto ‛modernisieren', sieht jetzt jedoch, wie das Geld nur so zwischen seinen Fingern zerrinnt und wir noch immer kein Radio haben. Mamadus Schwager Bah, der in Conakry wohnt, Französisch, drei weitere lokale Sprachen und ein wenig Krio spricht, versucht zwischen den Händlern und Mamadu zu vermitteln. Doch irgendwie versteht keiner von uns dreien noch, wer wem welchen Auftrag erteilt hat und ob überhaupt.
Das erste Autoradio funktioniert nicht. Ein anderes wird verkabelt. Dieses funktioniert. Bah geht dazwischen. Das sei "fake" – eben doch "Chinese". Das Kopfteil des Radios sieht für mich einwandfrei nach Sony aus, ebenso die Verpackung. Nur die Fernbedienung sieht billig aus, es steht "DVD" drauf, nichts von "Sony". In der Bedienungsanleitung, die sehr dünn ausfällt, ist eine andere abgebildet. Aber das Radio spielt CDs, Musik vom Stick und sogar von der SD-Card. Der Besitzer des Radios redet auf mich ein, es sei einwandfrei "original". Er zeigt mir immer wieder die Verpackung, das Radio – stimmt überein. Und das alles für 500'000 Francs, etwas mehr als 70$. Bah insistiert. Auch wenn es "original Chinese" sei, besser als "fake Chinese", man wisse nie, was man kaufe. Wir sollten besser "Bruxelles" kaufen, "Belgium", wie es in Sierra Leone heisse, also gebrauchte, aber originale Ware aus Europa. Und daher die beste und verlässlichste Qualität – laut Bah. Schliesslich komme nur beste Ware in Europa auf den Markt und die Radios hätten ja schon jahrelang ihre Verlässlichkeit in anderen Autos bewiesen. "Bruxelles"-Radios werden nämlich im Freihafen von Conakry aus den ankommenden Autos entfernt, bevor sie dann ein paar Meter weiter wieder verkauft werden – an Neuhalter von Autos, die jetzt ohne Radio sind.
Ein Junge, der uns zuvor einen Auspuffaufsatz verkaufte, kommt mit zwei neuverpackten Sony-Radios zu mir. "Ça c'est 450'000, ça c'est 800'000". Das erste sei "chinois", das zweite "original" – unmöglich für weniger als 800'000 zu haben. Wohlgemerkt, auch dieses "Original" ist ‛Made in China'. Er packt sie aus und zeigt mir die Unterschiede: ein, zwei Hinweise auf der Schachtel auf bestimmte Technologien, für die Sony ein Patent hat; eine originale Sony Fernbedienung, die auch in der ausführlich gehaltenen Bedienungsanleitung dokumentiert ist; die Aufschrift "Sony" auf der Box für das abnehmbare Kopfteil des Radios; eine Garantie; KEINE DVD-Funktion. Zudem würden die Schachteln auch an verschiedenen Seiten geöffnet und die einzelnen mitgelieferten Teile anders in der Schachtel angeordnet.
Alles offensichtlich – jetzt. Doch zuvor sah beim offenbar gefälschten Modell alles in Ordnung aus, es zeichnete sich gar durch mehr Funktionen aus als das "Original" – um nicht von den abgewetzten "Bruxelles" zu sprechen, die allenfalls CDs spielen. Und wer weiss schon, wie bei Sony die Radios, Kopfteile, Verbindungskabel und Bedienungsanleitungen in die Schachtel gepackt werden! Und die fehlenden Patentangaben, hat das nicht einfach damit zu tun, dass es sich um verschiedene Modelle mit verschiedenen Ausstattungen handelt? Schliesslich gibt das chinesische Modell ja nicht vor, dasselbe Modell wie das "originale" zu sein, hat eine andere Modellnummer und Design. Aber welches soll man denn nun kaufen? Bah spricht sich klar für "Bruxelles" aus – garantierte europäische Qualität für rund 300'000 Francs. Doch Mamadu will unbedingt USB-Sticks spielen, so spare er sich den Kauf von CDs. Idriss, der Mechaniker, den wir vom Vortag noch kennen, meint jedoch, dass man auf keinen Fall "Bruxelles" kaufen solle. Das sei alter Schund, Ausschuss aus Europa, bei dem man nie wisse, wie lange er noch funktioniere. Viele Radios seien nämlich nicht aus den Autos abmontiert worden, sondern würden defekt in den Handschuhfächern und Kofferräumen der Autos mitgeliefert. "La poubelle d'Europe!", Afrika sei ja nur "der Mülleimer Europas!" Wenn möglich solle man "original" kaufen, was jedoch mehr kostet. Ich frage mich, ob das "Original" dann auch eines von guter Qualität ist. Man weiss ja, bei Markenartikeln bezahlt man oft für die Marke und nicht für die Ware.
Auch wenn ich keine ‛Anthropologie der Autoradios' betreibe, war dieser Radiokauf höchst faszinierend. Zentrale Fragen, welche die Menschen in Westafrika (und nicht nur dort) umtreiben, wurden dabei mitverhandelt. Rund um den Auto(radio)kauf zeigte sich exemplarisch, wie die Menschen Gütern unterschiedlichen Wert zuschreiben, ihr Leben damit auch unterschiedlich gestalten. Mechanische oder elektr(on)ische Waren können zum einen praktischen Nutzen haben, erleichtern die Arbeit, ermöglichen zusätzliche Einkünfte, haben Unterhaltungswert. Zum anderen stehen sie, wie auch andere Güter einer symbolisch aufgeladenen Herkunft, für einen bestimmten Lebensstil, an dem man durch ihren Konsum – zumindest imaginär – teilnehmen kann. Dabei stellt sich für die Konsumenten jedoch die Frage, ob die Ware, die lokal erhältlich ist, auch wirklich von jenem ‛Geist' beseelt ist, den man sich wünscht. Oder wird man wieder einmal betrügerisch übers Ohr gehauen? Vom Händler auf dem lokalen Markt, der einem wissentlich etwas Wertloses in schöner Verpackung verkauft, oder von den Europäern und Chinesen, die, wie man hört, eigene – minderwertige! – Produktlinien für den afrikanischen Markt haben. Wenn überall Fälschungen und Fallen lauern, wie findet man beim Kauf der entsprechenden Objekte heraus, was ‛authentisch' und was ‛gefälscht' ist? Was garantiert einem die materielle oder imaginäre Qualität, die man sucht? Wem kann man bei der Entscheidung über die richtige Wahl trauen? Ist Europa die Garantie für bessere Qualität und damit ein besseres Leben oder bestätigt es sich nicht doch wieder, dass Afrika Europa als Müllhalde dient?
Mamadus neu erworbener Primera ist längst in Sierra Leone. Ohne Radio. Das Geld musste noch für Essen, das Benzin nach Hause und administrative Dienste an der Grenze reichen.
Michael Bürge ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Ethnologie und Kulturanthropologie. Im Rahmen seiner Dissertation beschäftigt er sich mit nationaler und internationaler Kriminalitätsbekämpfung in Sierra Leone und Fragen der Il/Legalität und Il/Legitimität lokalen Handels und Märkte.
[1] “Chef, hast du das hier gesehen? Das ist original. Kein Chinesisches, sondern das Original” - “Soll ich es installieren? 600'000, mit Fernbedienung. Es spielt CD, USB-Stick, DVD, es hat alles” - “He Kumpel, das ist Chinesisch, schaut wie original aus, ist aber ein gefälschtes Radio! Trau den Guineern nicht, die haben Spass daran, Sierra Leoner zu linken. Kauf ‛Belgium’ [Gebrauchtware]”. Auch wenn ‛Radio’ im Französischen feminin ist, wurden immer männliche Adjektivformen verwendet (“chinois”, “original”) verwendet, bzw., wurde es zumindest so ausgesprochen.