Intime Arbeit und migrantische Unternehmerschaft am Beispiel der brasilianischen Waxing Studios in Berlin
Seit Mitte der 2000er Jahre haben sich im Berliner Stadtkern und in anderen größeren deutschen Städten sogenannte Waxing Studios etabliert, die sich ganz der Körperhaarentfernung mittels einer Warmwachsmethode widmen. Obwohl zuvor als Kosmetikdienstleistung hierzulande unbekannt, stieg die Anzahl der Studios in den letzten Jahren rasant an. Waxing stellt dabei eine besondere Form der Kosmetikpflegearbeit dar, denn sie ist nicht nur durch eine ausgesprochene physische Intimität zwischen Dienstleistender und Dienstempfangender geprägt. Das anvisierte Behandlungsergebnis eines weitestgehend haarlosen Körpers ist darüber hinaus Bestandteil einer größeren (westlichen) Kontroverse um eine Normalisierung damit assoziierter herrschaftlich angelegter vergeschlechtlichter Körperideale. Seit ihrer Einführung wird die Branche zudem von brasilianischen Migrantinnen dominiert, sowohl unter den Angestellten – den Depiladoras – als auch unter den Studioleiterinnen, die diesen Geschäftszweig bei gleichzeitiger und beständig zunehmender deutscher Konkurrenz aktiv als ‚brasilianisch‘ zu markieren suchen. Viele dieser Frauen hatten zuvor in ihren Migrations- und Arbeitstrajektorien unterschiedliche Erfahrungen im Niedriglohn-Dienstleistungssektor, insbesondere in Pflege- und Fürsorgetätigkeiten gemacht, sind aber nun diejenigen, die ein Waxing Studio leiten.
Waxing als interaktive, subjektivierte Dienstleistungsarbeit ist damit Teil eines beständig anwachsenden Schönheits(arbeits-)marktes, der durch einen sehr hohen Frauenanteil sowohl in der dienstleistenden Arbeit wie auch in Bezug auf die gewerbliche Selbständigkeit gekennzeichnet ist. Zugleich ist gerade der dienstleistende Körperpflegesektor durch prekäre Arbeitsbedingungen charakterisiert. Ähnlich anderer körperintensiver Dienstleistungen, wie der Pflege- und Fürsorgearbeit, arbeiten auch hier zunehmend nichtdeutsche Frauen, während sich die Kundschaft vornehmlich aus Frauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft zusammensetzt. Die Dissertation setzt sich mit der besonderen Verflechtung von intimer, körperintensiver Dienstleistungsarbeit und Unternehmerschaft dieser brasilianischen Frauen im Kosmetiksektor auseinander. Sie verortet sich also an der Schnittstelle einer zunehmenden, doch bisher kaum untersuchten, gewerblichen Selbständigkeit unter Migrantinnen und eines sich ausweitenden Dienstleistungssektors, der zudem immer mehr auch eine körperbezogene Konsumkultur bedient.
Die Studie geht der Frage nach, welche kulturell und geschlechtlich markierten sowie sozialen Aneignungs- und Aushandlungsprozesse über Arbeit, Körper und Wissen in diesen Unternehmen zusammentreffen und wie sich diese in das Handeln der unterschiedlichen Akteurinnen, insbesondere der Depiladoras/Unternehmerinnen in ihrer Dienstleistung und in ihrem sozialen Umfeld übersetzen. Hierfür wird ein subjektiviertes Arbeitsverständnis erarbeitet, das neben Handlungsermächtigungen ebenso Zuweisungen in vergeschlechtlichte, ethnisierte und klassifizierte Zugehörigkeits- und Repräsentationsregime einbezieht und dabei eine integrative Herangehensweise verfolgt. So werden in den Migrations- und Arbeitstrajektorien verortete Erfahrungen als Teil verkörperten/einverleibten Wissens verstanden, die auch auf Arbeitsperformanzen und Positionierungen der Akteurinnen in situativen Interaktionen der personenbezogenen Dienstleitung wirken.
Die Untersuchung geht aus diesem Grund eingehender auf die Besonderheit brasilianischer Migrantinnen in Deutschland und Formen ihrer Arbeitsmarkteingliederung ein. Es werden konkrete Wege in die gewerbliche Selbständigkeit im Waxing nachgezeichnet, die neben dem Wie auch das Warum für diesen Schritt in den Blick nehmen und bindet diese auch an die (ineinander verflochtenen) Arbeits- und Migrationstrajektorien der Frauen rück. Im Detail wird erörtert, wie diese Frauen diesen neuen Geschäftszweig als ‚brasilianisch‘ aneignen, gestalten und in Berlin positionieren. Hauptaugenmerkt ist jedoch die Spezifik der Arbeit in den Studios. Dies umfasst die Etablierung der Branche sowie von Arbeitsstandards, die sich in erster Linie auf Arbeitsperformanzen, Professionalisierungsstrategien und Vertrauensbildung zwischen Studioleiterinnen/ Depiladoras und Kundinnen in einem interkulturellen, sozial hierarchisierten Arbeitskontext beziehen. Darauf aufbauend geht die Forschung kritisch auf Möglichkeiten der sozialen Anerkennung der Frauen in ihrem Arbeitskontext aber auch innerhalb ihres sozialen Umfeldes ein und inwieweit diese an die oft selbst-ausbeuterische Arbeit und die mit vielen Risiken verbundene Unternehmerschaft gebunden sind.
Grundlage der Untersuchung waren die Ergebnisse einer über zwei Jahre währenden Feldforschung, die auf der teilnehmenden Beobachtung, vor allem aber auf unterschiedlichen Interview- und Gesprächsformen aufbaute. Im Fokus standen 15 Studioleiterinnen/Depiladoras, mit denen ich über den langen Zeitraum hinweg in unterschiedlicher Intensität zusammenarbeitete. Ziel war es, am Beispiel der spezifischen Kosmetikdienstleistung Waxing die Komplexität von Zuweisungs- und Abgrenzungspraktiken sowie Aushandlungs- und Gestaltungsräumen in feminisierten wie ethnisierten interaktiven Arbeitskontexten aufzuzeigen und deren gesellschaftliche Wechselwirkungen offenzulegen. Dabei suchte ich, polarisierende Erklärungsansätze vieler bisheriger Studien entlang von entweder Unterwerfung unter herrschaftliche Differenzachsen oder individualisierte Handlungsermächtigung zu überkommen. Dies war mir über den von mir verfolgten akteurszentrierten, ethnographischen Ansatz möglich, der sich auf der Mikroebene verortete, aber ebenso wirkmächtige intersektionalisierende Zugehörigkeits- und Repräsentationsregime entlang von Geschlecht, ‚Rasse‘ und Klasse an der Schnittstelle von Migration und Arbeit erfasste. Hierfür wurde auf praxistheoretische sowie neuere Emotions-/Affekt- und Embodiment-Ansätze rekrutiert.