DFG-Projekt: Medialisierte Kommunikation unter Druck
Medialisierte Kommunikation unter Druck: Kommandokulturen, epistemische Praktiken und verteilte Handlungsentscheidungen in der technisch vermittelten Kriegskommunikation
Das Projekt untersucht technisch vermittelte Kriegskommunikation als tatsächliche und unmittelbare Handlungspraxis der verschiedenen Beteiligten. Hierzu werden der moderne Luftunterstützungskrieg (Einsätze von Drohnen und bemannten Flugzeugen zur Unterstützung von Bodentruppen) und Kampfeinsätze am Boden in den Blick genommen. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie in Situationen großen Handlungs- und Entscheidungsdrucks und unter den Voraussetzungen verschiedener Kommandokulturen („Auftragsarmeen“ im europäischen versus „Befehlsarmeen“ im nordamerikanischen Raum) gemeinsam durch die vernetzten Beteiligten, Evidenz und epistemische Plausibilität über die „Lage“ hergestellt und in professionelle Entscheidungen über weiteres militärisches Handeln überführt wird. In den Drucksituationen kriegerischer Auseinandersetzungen muss eine Handlungsentscheidung zeitnah erfolgen, gleich, ob das Handeln in einem aktiven Tun oder dem „Unterlassen“ eines Tuns besteht. Dabei sind erhebliche Folgewirkungen abzusehen – von der existenziellen Bedrohung für die eigene Truppe oder Verbündete bis zu einem mitunter völkerrechtswidrigen Angriff auf andere. Trotz ihrer Folgenschwere sind die Entscheidungsprozesse in Drucksituationen epistemisch und kommunikativ fragil und kritisch, da fast immer kommunikationsfeindliche Bedingungen existieren (psychische und physische Belastung in der Kampfsituation; extremer Zeitdruck; störanfällige Technologie; adversative, z.B. laute Umgebungen; diverse, sich auf verschiedenen Erdteilen befindende Beteiligte; unvollständige Informationen u.v.a.m.). Mit dem Projekt richten wir das Interesse auf die offene, emergente Mikrosituation der über mehrere medial verbundene Akteure verteilten Entscheidungsfindung vor Angriffshandlungen. Deren Dynamiken und Kontingenzen galten bis vor kurzem aufgrund der schwierigen Datenlage als „Black Box“. Konkretes Ziel des Projekts ist es daher, die sozialen Dynamiken von Angriffsentscheidungen nun wissenschaftlich zugänglich und kritikfähig zu machen, etwa durch die Identifikation obligatorischer Passagepunkte in der interaktiven Aushandlung von Angriffshandlungen. Letztlich soll dies zu einer Reflexion dieser Praxis führen, worin juristische, aber auch eine gesellschaftspolitische Relevanz liegt. Mit dem Projekt wird zudem das sich entwickelnde Feld der mikrosoziologischen, interaktionsanalytischen Untersuchung von Kriegsgeschehen im deutschsprachigen Raum präsent gemacht und zugleich in einem allgemeinen sozialtheoretischen Kontext verortet. Um die sozialen Dynamiken „kleiner Entscheidungen mit großen Folgen“ zu erfassen, wird als Untersuchungsform in dem Forschungsprojekt ein sequenzanalytisches Rekonstruktionsverfahren angewendet, bei dem reale Kriegseinsätze unter Einbezug von professionellen Akteuren empirisch aufgearbeitet werden.